15.08.2025
Öffentliche Beteiligung lebt von Vielfalt. Doch wer sich beteiligt, ist meist eine vergleichsweise kleine, gut vernetzte und geübte Gruppe. Der überwiegende Teil der Bevölkerung bleibt stumm – nicht aus Desinteresse, sondern oft mangels Zugänglichkeit, Vertrauen oder Alltagsnähe. Die Online-Beteiligung galt lange als Lösung für dieses Repräsentationsdefizit. Doch wie groß ist ihr Beitrag tatsächlich? Und welche Bedingungen braucht es, damit digitale Formate nicht nur neue Stimmen einfangen, sondern auch Wirksamkeit entfalten?
Stille Gruppen: Wer sie sind und warum sie fehlen
Empirisch belegt ist, dass Beteiligungsverfahren stark von Selektivität geprägt sind. Studien wie die „Bertelsmann Beteiligungsstudie“ und der Jahresbericht von Mehr Demokratie e.V. zeigen: Überproportional beteiligt sind Menschen mit hoher Bildung, politischem Interesse und stabiler Lebenslage. Unterrepräsentiert sind dagegen junge Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte, bildungsferne Gruppen, Alleinerziehende und Personen mit wenig Zeit oder Vertrauen in Politik.
Die Ursachen sind vielfältig: strukturelle Barrieren (Sprache, Zugänge, Zeit), kulturelle Distanz, negative Beteiligungserfahrungen, fehlende Rückmeldung. Es reicht nicht aus, neue Kanäle zu schaffen; man muss gezielt an den Zugangshürden ansetzen.
Digitale Beteiligung als Brücke? Bedingungen für echte Zugänglichkeit
Online-Formate versprechen niedrigschwellige Teilhabe. Doch in der Praxis zeigt sich: Digital ist nicht automatisch inklusiv. Laut dem D21-Digital-Index 2023/2024 besitzen 16 Millionen Menschen in Deutschland nur geringe digitale Kompetenzen. Besonders ältere Menschen, finanziell benachteiligte Menschen und formal gering Gebildete sind digital unterversorgt.
Gleichzeitig gibt es Potenzial: Digitale Beteiligung kann zeitflexibel, anonym, mobil, mehrsprachig und barrierearm gestaltet werden. Entscheidend ist, wie die Plattform gestaltet ist und welche Kommunikationsstrategien angewendet werden. Beispielsweise Messenger-Dienste wie WhatsApp werden zunehmend als bevorzugte Informationskanäle genutzt, insbesondere bei jüngeren Zielgruppen.
Wirksamkeit statt Sichtbarkeit: Warum Rückmeldung zentrale Voraussetzung ist
Ein zentrales Motiv für Beteiligung ist die Selbstwirksamkeit. Gerade stille Gruppen benennen dies explizit: Sie wollen nicht nur ihre Meinung sagen, sondern verstehen, wie sie Einfluss nimmt. Rückmeldung zu Entscheidungen, die aus Beteiligung resultieren, sind der entscheidende Faktor für eine positive Bewertung des Prozesses. Laut OECD-Umfrage 2024 steigt das Vertrauen in staatliches Handeln signifikant, wenn Menschen sehen, dass ihre Stimme etwas bewirkt.
Digitale Formate bieten hier Vorteile: Sie ermöglichen automatisierte, personalisierte Rückmeldungen – etwa per E-Mail oder Messenger. In der Praxis hat sich gezeigt, dass einfache, transparente Visualisierungen von Beteiligungsergebnissen (Dichtekarten bzw. sogenannte "Heatmaps", Cluster-Grafiken, Entscheidungsmatrizen) die Nachvollziehbarkeit deutlich erhöhen.
Zielgruppenorientierte Gestaltung: Was in der Praxis wirklich funktioniert
Wer stille Gruppen erreichen will, muss Inhalte, Kanäle und Formate konsequent auf deren Lebensrealität ausrichten. Entscheidend ist nicht nur die technische Umsetzung, sondern vor allen Dingen, ob sich die Menschen verstanden und angesprochen fühlen. Die Erfahrung zeigt:
Einfache Sprache und mobile Optimierung sind Mindeststandards.
Nutzerzentrierung muss die Zielgruppe ernst nehmen: Wo halten sich Menschen digital auf? Welche Formate konsumieren sie dort?
Gamifizierte Formate (Swipe-Votings, Belohnungssysteme) können jüngere Zielgruppen aktivieren, müssen aber mit echter Entscheidungseinbindung verknüpft sein.
Wer stille Gruppen erreichen will, muss sie nicht nur genau verstehen, sondern auch aktiv auf sie zugehen. Beteiligungsangebote werden von diesen Gruppen meist nicht von allein gefunden oder genutzt. Deshalb ist es entscheidend, die gewonnenen Erkenntnisse über ihre Lebensrealität und Präferenzen gezielt in die Ansprache und Gestaltung einzubeziehen, um Vertrauen aufzubauen und die Beteiligung wirklich zu ermöglichen.
Beteiligung als demokratischer Resonanzraum: Digitale Formate müssen politisch gedacht werden
Digitale Beteiligung darf nicht zum Sammelbecken unverbindlicher Meinungen verkommen. Ihr demokratischer Wert bemisst sich daran, ob sie strukturell Anschluss an politische Entscheidungen findet. Das bedeutet:
Beteiligung muss frühzeitig im Entscheidungsprozess verankert sein.
Die Auswertung muss politisch verwertbar aufbereitet sein.
Die Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger müssen die Beteiligungsergebnisse aktiv aufgreifen.
Fazit:
Digitale Beteiligung ist kein Selbstläufer. Sie kann stille Gruppen stärker einbinden, wenn man sie nicht als technische Lösung, sondern als soziale und politische Infrastruktur begreift. Entscheidend ist nicht, über welche Tools man verfügt, sondern wie konsequent man auf Augenhöhe kommuniziert, Wirkung sichtbar macht und die Vielfalt der Bevölkerung ernsthaft einbindet.
Quellen & weiterführende Literatur
Bertelsmann Stiftung: Digitale Bürgerdialoge – Eine Chance für die lokale Demokratie. Zur Publikation
Mehr Demokratie e.V.: Jahresbericht 2023 – Bürgerräte und digitale Demokratie. PDF
Initiative D21: D21-Digital-Index 2023/2024. Zur Studie
BASECAMP: Messenger als neue Kanäle für Information und Desinformation. Artikel lesen
Fraunhofer IESE: Digitale Partizipation in ländlichen Regionen am Beispiel CONSUL. Blogbeitrag
OECD: Survey on Drivers of Trust in Public Institutions – 2024 Results. Bericht
Bundeszentrale für politische Bildung: Digitale Partizipationsformen (2024). Zum Beitrag
More in Common: Mehr Erreichen! Mit Beteiligung – Studie 2025. Zur Studie
Bertelsmann Stiftung: Praxishilfen für inklusive, deliberative und wirksame Bürgerbeteiligung. Zur Projektseite