24.07.2023
In welchen Bereichen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens erfahren queere Menschen gegebenenfalls Diskriminierung und Ungleichbehandlung im Bodenseekreis? Welche Veränderungsbedarfe gibt es insbesondere bei der Kommunalpolitik aus Sicht der Betroffenen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden hatte der Kreistag des Bodenseekreises die Kreisverwaltung im vergangenen Jahr beauftragt, eine Befragung unter queeren Menschen der Region durchzuführen. Wir haben mit Veronika Wäscher-Göggerle, Frauen- und Familienbeauftrage des Bodenseekreises und verantwortlich für die Initiative „Queer im Bodenseekreis“ gesprochen:
Was hat den Bodenseekreis veranlasst die Konsultation durchzuführen und was waren Ihre Erwartungen?
Wir hatten eine politische Anfrage, das heißt ein Kreistagsmitglied kam auf uns zu und hat den Antrag gestellt, eine Beratungsstelle für queere Menschen einzurichten. Natürlich haben wir uns dann sehr intensiv damit auseinandergesetzt und überlegt, wie wir dem Antrag gerecht werden könnten. Und natürlich ist es nicht ganz leicht eine Beratungsstelle aus der Taufe zu heben, die eine Menge laufende Kosten hat und deshalb war es uns auch so wichtig - bevor wir weitere Überlegungen anstellen und einen politischen Entscheidungsprozess angehen - zunächst einmal den Bedarf einer solchen Beratungsstelle zu prüfen. Und wir vermuteten, dass wir durch eine Befragung der Bevölkerung zu Ergebnissen kommen, aus denen wir im besten Falle eine politische Handlungsaufgabe generieren können, und genauso haben wir es dann angedacht.
Über 200 Antworten, viele persönliche Erfahrungsberichte und 7 Erkenntnisse, wie der Bodenseekreis gegen die Diskriminierung von queeren Personen vorgehen könnte – Wie reagieren Sie auf die Ergebnisse dieser Konsultation?
Als erstes haben wir die Ergebnisse im Kreistag präsentiert. So sind sie dann auch an die Öffentlichkeit gekommen. Wenn wir Untersuchungen zu Themen machen, ist der Kreistag das erste Organ, und das ist auch wichtig und richtig, denn daher kam ja auch der Antrag. Bis dahin waren die Erkenntnisse noch nicht öffentlich. Wir hoffen, dass wir aus den generierten Erkenntnissen möglichst viele Veränderungen anstoßen können. Deshalb haben wir jetzt einen Arbeitskreis mit Menschen aus der Verwaltung und der queeren Community gegründet, um einen Aktionsplan zu entwickeln. Dieser Aktionsplan soll die 7 Erkenntnisse möglichst gut in Aktionen oder Projekten oder eben vielleicht auch in einer geförderten Beratungsstelle umsetzen.
Aus den Erkenntnissen geht hervor, dass vor allem die öffentlichen Einrichtungen des Bodenseekreises viel bei der Sichtbarkeit und Sensibilisierung bewirken können. Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um das umzusetzen?
Wir haben uns bei einem Förderaufruf des Landes Baden-Württemberg beworben, der Projekte unterstützt, die gleiche Rechte und Akzeptanz für alle und die Verbesserung der Lebenssituation queerer Menschen im Fokus hat und dafür auch Fördergelder bereitstellt. Da wir den Zuschlag des Landes Baden-Württemberg bekommen haben, sind wir nun in der Lage sehr zeitnah eine Awareness-Kampagne durchzuführen, die die Sichtbarkeit von queerem Leben im Bodenseekreis in den Fokus rückt. Fehlende Sichtbarkeit queeren Lebens war die erste Erkenntnis die beim Beteiligungsverfahren rauskam. Im Moment überlegen wir in dem Arbeitskreis, wie wir die Sichtbarkeits-Kampagne genau gestalten. Und wir haben immer die Erkenntnisse der Online-Beteiligung als Basis und schauen was dabei rausgekommen ist und wie das im Bodenseekreis umgesetzt werden müsste. So gehen wir sukzessive jede einzelne Erkenntnis durch und versuchen die möglichst gut umzusetzen.
Würden Sie die Online-Konsultation anderen Initiativen weiterempfehlen?
Gerade weil ich Kommunikationswissenschaftlerin bin, ist mir klar, dass eine Online-Befragung diesen Ausmaßes Dimensionen mit sich zieht, die leicht unterschätzt werden können. Ich finde es wichtig, in solchen Situationen einen professionellen Anbieter heranzuziehen, der die Daten dann eben auch entsprechend aufbereitet. Wir sind der Öffentlichkeit Transparenz und Professionalität schuldig, das sehe ich durch eine Online Konsultation in dieser Weise dann auch absolut gegeben.
Was hat für Sie bei der Online-Konsultation herausgestochen im Gegensatz zu einem analogen Beteiligungsformat, wie zum Beispiel einem runden Tisch?
Ein analoges Beteiligungsverfahren scheint mir in diesem Bereich völlig ungeeignet. Wir haben gerade hier auch viele Menschen, die anonym antworten möchten und das ist in einem analogen Beteiligungsverfahren schwierig konsequent umzusetzen. Deshalb kommen analoge Beteiligungsformate für mich auch in vielen anderen Bereichen der Gleichstellung nicht mehr in Frage. Da geht es ja auch viel um Ungerechtigkeit, Diversity, Diskriminierung und die Nichteinhaltung von Rechten. Da eignen sich Online-Verfahren viel besser. Gerade auch weil Datenschutz eine wichtige Herausforderung ist. Wie die Beteiligung aufgearbeitet wurde, fand ich sehr schön. Die Erkenntnisstränge und die Abbildungen. Wir leben ja in einer digitalen Zeit, warum sollte man das noch analog machen?
Würden Sie sagen, dass diese Konsultation ihnen einerseits Legitimität verschafft hat und dass Sie damit auch Handlungsbereitschaft erwirken konnten?
Auf jeden Fall, genauso sind wir ja reingegangen. Wenn jetzt in den Ergebnissen steht, dass wir eine Sichtbarkeitskampagne brauchen, dann versuche ich das natürlich umzusetzen. Und die Konsultation gibt Legitimation. Deswegen haben wir entschieden so vorzugehen, denn so haben wir dann kompetente Meinungen und ein Bild, das in der Gesellschaft gebildet wurde. Und das können wir jetzt so weitergeben. Wenn wir Mehrheiten schaffen mit fundierten Ergebnissen dann gibt uns das auch mehr Handlungsspielraum.